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Der Beschluß ist rechtskräftig.
Vergleiche zum Thema auch das Urteil auf die Leistungsklage VG 27 A 13.02 (Bestätigung und Fortführung in einem Hauptsacheverfahren).

 

________________________

 

VG 27 A 50.02

 

VERWALTUNGSGERICHT BERLIN

BESCHLUSS

 

 

 

 

In der Verwaltungsstreitsache

 

des ...

Antragstellers,

gegen

das Land Berlin, vertreten durch den
Polizeipräsidenten in Berlin,
- LPVA III A -
Gothaer Straße 19, 10823 Berlin,

Antragsgegner,

hat die 27. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin

durch

den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Neumann und die Richter am Verwaltungsgericht Dolle und Schubert

am 6. Mai 2002 beschlossen:

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Nichtgültigkeit der im folgenden genannten Zeichen des § 41 StVO an den jeweiligen Standorten durch Klebestreifen kenntlich zu machen, sofern diese Straßenschilder nicht tatsächlich entfernt werden:

Tabelle mit 24 Standorten.

 

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 4.000,- Euro festgesetzt.

 

 

Gründe

I. Bezüglich der im Tenor im Detail aufgeführten Verkehrszeichen half der Antragsgegner gegen diese Verkehrszeichen gerichteten Widersprüchen des Antragstellers mit Schreiben vom 15. Mai, 22. Mai und 1. Juni 2001 ab und erklärte hierzu jeweils in unterschiedlichen Formulierungen - die Radwegebenutzungspflicht könne entfallen, deren Aufhebung sei beabsichtigt bzw. die Verkehrszeichen könnten entfernt werden, in Einzelfällen sei indes zusätzlich eine Programmänderung an Lichtzeichenanlagen erforderlich. Für den Bereich Klopstockstraße/ Straße des 17. Juni sei eine Umsetzung bis Ende des Jahres 2001/ Anfang 2002 vorgesehen. Die in diesem Zusammenhang anhängigen Eilverfahren VG 27 A 48.01, VG 27 A 54.01 und VG 27 A 74.01 wurden von den Beteiligten daraufhin übereinstimmend für erledigt erklärt.

Nachdem der Antragsgegner bis zum 19. Februar 2002 keine weiteren Anzeichen erkennen ließ, dass alsbald eine tatsächliche Umsetzung der Abhilfeentscheidungen erfolgen werde, hat der Antragsteller am selbigen Tag den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Im Zuge des Antragsverfahrens hat der Antragsgegner dem Gericht insgesamt sieben Schreiben vom 8. November 2001, vom 13. Februar 2002, vom 1. März 2002 und vom 7. März 2002, jeweils an das Bezirksamt Mitte - Straßen- und Grünflächenamt - gerichtet, wonach der Polizeipräsident in Berlin entsprechende Maßnahmen zur Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht anordnete. Gleichzeitig hat der Antragsgegner ein Schreiben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 12. März 2002 überreicht, wonach die Änderungen aufgrund derzeitiger Haushaltslage nicht beauftragt werden könnten, da im derzeitigen Zustand keine Gefährdung vorliege.

Der Antragsteller macht geltend, der Antragsgegner sei nicht befugt, die von ihm selbst für rechtswidrig befundenen Verkehrszeichen weiterhin aufrechtzuerhalten. Die Abhilfebescheide stellten Zusagen gemäß § 38 VwVfG dar.

Der Antragsteller beantragt,

den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die im Tenor im Einzelnen aufgeführten Zeichen des § 41 StVO an den jeweiligen Standorten zu entfernen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Antragsteller habe nicht glaubhaft gemacht, das ihm ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung unzumutbare Nachteile entstünden. Weiterhin sollte die Radwegbenutzungspflicht an den genannten Örtlichkeiten entfallen. Es sei indes schon im Widerspruchsverfahren darauf hingewiesen worden, dass die konkrete Umsetzung erst erfolgen könne, wenn die für die Erhaltung der Verkehrssicherheit unerlässlichen Änderungen der Lichtzeichenanlagen vorgenommen würden. Dies indes sei sehr kostenintensiv, eine sofortige Umsetzung daher aus Kostengründen und haushaltstechnischen Beschränkungen nicht möglich. Priorität hätten gegenwärtig Maßnahmen, die der Beseitigung unsicherer Zustände dienten. Dies sei hier nicht der Fall. Dieselben Radwege hätten jahrelang einer gesetzlichen Radwegebenutzungspflicht unterlegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verfahrensakten VG 27 A 48.01, VG 27 A 54.01 sowie VG 27 A 74.01 und auf den Verwaltungsvorgang des Antragsgegners verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

 

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zulässig und auch begründet.

Dem Erlass der einstweiligen Anordnung steht nicht entgegen, dass mit der Verpflichtung des Antragsgegners im vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Hauptsache in grundsätzlich unzulässiger Weise vorweggenommen wird, weil dem Antragsteller zumindest zeitweilig gewährt wird, was ihm nur in einem - gegebenenfalls noch anhängig zu machenden - Hauptsacheverfahren zugesprochen werden könnte. Denn Art. 19 Abs. 4 GG verlangt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht (vgl. dazu Kopp/Schenke, VwGO, § 123 Rz. 13 ff. - m.w.N.).

Hiernach war die begehrte Anordnung zu erlassen, weil der Antragsgegner nach dem Ergebnis der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen - gleichwohl eingehenden - Prüfung die Entfernung bzw. die Kenntlichmachung der Nichtgültigkeit der benannten Verkehrszeichen zu Unrecht verweigert, der Antragsteller indes einen zwingenden Rechtsanspruch auf Kenntlichmachung der Nichtgültigkeit der Radwegebenutzungspflicht an den benannten Orten hat, der sein Obsiegen im Hauptsacheverfahren nach derzeitigem Stand sicher erscheinen lässt. ist im Hinblick auf die seit den Abhilfeentscheidungen vergangenen Zeitraum sowie auf den Vortrag des Antragsgegners insbesondere zur bestehenden Haushalts- und Kostensituation eine tatsächliche Umsetzung der Abhilfeentscheidungen auf unabsehbare zeit nicht vorgesehen, so stellt es für den Antragsteller aus heutiger Sicht einen unzumutbaren Nachteil dar, der zur Vermeidung möglicher Ordnungswidrigkeitenverfahren und Bußgeldzahlungen weiter auf eben diese unabsehbare zeit darauf verwiesen zu werden, Verkehrszeichen über eine Radwegebenutzungspflicht zu befolgen, die als solche bereits nicht mehr besteht - ohne dass dies indes nach außen kenntlich wäre. Wie bereits im Schreiben des Gerichts vom 16. April 2002 ausgeführt, ist es jedoch selbst übergangsweise nicht hinnehmbar, dass Verkehrszeichen als Scheinverwaltungsakte aufgestellt bleiben, obwohl für sie eine behördliche Anordnung fehlt. Ebenso ist auch die vom Antragsgegner geltend gemachte Notwendigkeit des Umbaus der Lichtzeichenanlagen teilweise nicht verständlich. Auch bei fehlender Benutzungspflicht bleibt Radfahrern die Möglichkeit der Radwegebenutzung erhalten, so dass radwegseitig die Notwendigkeit einer Änderung für die den Radweg tatsächlich nutzenden Verkehrsteilnehmer nicht nachvollziehbar ist. Soweit indes straßenseitig eine Änderung notwendig ist, hat sie als Folge der Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht zur Gefahrenabwehr unverzüglich zu erfolgen. Das Gericht erspart sich an dieser Stelle weitere Ausführungen dazu, dass im Hinblick auf die Aufgaben der Straßenverkehrsbehörde und das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung die Berufung auf fehlende Haushaltsmittel offensichtlich und nach jeder denkbaren Betrachtungsweise rechtlich verfehlt ist.

Der Antragsteller hat auch das Vorliegen einer (Anordnungs-)Anspruchs dargelegt. Vor dem Hintergrund der Abhilfeentscheidungen vom 15. Mai, 22. Mai und 1. Juni 2001 und der Aufhebung der entsprechenden Verkehrszeichen hat der Antragsteller einen Folgebeseitigungsanspruch auf Entfernung bzw. Ungültigmachung dieser Verkehrsschilder; damit wird ein der Rechtslage entsprechender tatsächlicher Zustand hergestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über den Wert der Verfahrensgegenstände beruht auf §§ 13 Abs. 1 20 Abs. 3 GKG.

 

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Bescheid ist die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht Berlin zulässig.

Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin, einzulegen. Die Frist für die Einlegung der Beschwerde endet zwei Wochen nach der Zustellung dieses Beschlusses.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin, einzureichen. Sie muß einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.

Für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht besteht Vertreungszwang; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde. Danach muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigtem vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.

Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 50 Euro übersteigt. Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Sie ist innerhalb von sechs Monaten einzulegen, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat. In dem Verfahren über die Steitwertbschwerde bedarf es nicht der Mitwirkung einen Bevollmächtigten.

Neumann

Schubert

Dolle

 

 

Anhang: Schreiben vom 16. April 2002

 

"In der Verwaltungsstreitsache

Andreas Volkmann ./. Land Berlin

verweise ich darauf, dass nach Aufhebung der Radwegbenutzungspflicht eine Rechtsgrundlage für das Bestehen der Beschilderung (Z 237 bzw. 240/241 StVO) nicht mehr besteht. Die - eine Radwegbenutzungspflicht (vgl. § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO) suggerierende Beschilderung ist entweder zu entfernen oder ihre Nichtgültigkeit durch Klebestreifen zu verdeutlichen. Es ist selbst übergangsweise nicht hinnehmbar, dass Verkehrszeichen als Scheinverwaltungsakte aufgestellt bleiben, obwohl für sie eine behördliche Anordnung fehlt. Im Übrigen ist der angeblich notwendige Umbau der Lichtzeichenanlagen nicht verständlich: Auch bei fehlender Benutzungspflicht bleibt Radfahrern rechtlich die Möglichkeit der Benutzung der Radwege erhalten, so dass radwegseitig eine notwendige Änderung der betreffenden Lichtzeichen für die den Radweg tatsächlich benutzenden Verkehrsteilnehmer nicht nachvollziehbar ist. Sollte sie straßenseitig notwendig sein, muss sie als Folge der Aufhebung der Radwegbenutzungspflicht zur Gefahrenabwehr umgehend erfolgen. Die Berufung darauf, dass zur Umsetzung notwendiger Gefahrabwehrmaßnahmen Haushaltsmittel fehlen, ist im Hinblick auf die Aufgaben der Straßenverkehrsbehörde und das Rechtsprinzip offensichtlich rechtlich verfehlt.

Der Berichterstatter
Dolle"

 

 

Anhang II: Zwangsgeldandrohung gegen die Behörde mit Beschluß vom 18.06.2002

Siehe dazu Pressemitteilung Nr. 16/2002 des VG Berlin .

Gesetzmäßige Verwaltung trotz fehlender Haushaltsmittel (Nr. 16/2002)

Berlin, den 25.06.2002

Die 27. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin hat das Land Berlin an seine Pflicht zur gesetzmäßigen Verwaltung erinnert, die auch angesichts knapper Haushaltsmittel besteht.

Der Antragsteller hatte gegen eine Vielzahl von Verkehrszeichen, die eine Radwegbenutzungspflicht vorschreiben, Widerspruch erhoben. Der Polizeipräsident in Berlin half diesen Widersprüchen im Mai und Juni 2001 ab und erklärte, die Radwegbenutzungspflicht könne entfallen, ihre Aufhebung sei beabsichtigt, die Verkehrszeichen könnten entfernt werden; in Einzelfällen sei jedoch zusätzlich eine Programmänderung an Lichtzeichenanlagen erforderlich.
Nachdem in der Folgezeit nichts geschah, rief der Antragsteller das Verwaltungsgericht an. Im gerichtlichen Verfahren legte der Polizeipräsident in Berlin insgesamt sieben Schreiben vor, mit denen er gegenüber dem Straßen- und Grünflächenamt des Bezirksamtes Mitte von Berlin entsprechende Maßnahmen zur Aufhebung der Radwegbenutzungspflicht angeordnet hatte. Zugleich legte er jedoch auch ein Schreiben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vor, in dem diese ausgeführt hatte, die Änderungen könnten aufgrund derzeitiger Haushaltslage nicht beauftragt werden, weil im derzeitigen Zustand keine Gefährdung vorliege.

Mit Beschluss vom 6. Mai 2002 hat die Kammer das Land Berlin, vertreten durch den Polizeipräsidenten in Berlin, im Wege der einstweiligen Ordnung verpflichtet, diese 24 im Einzelnen benannten Verkehrsschilder zu entfernen oder als nichtgültig kenntlich zu machen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, die Berufung auf fehlende Haushaltsmittel sei im Hinblick auf die Aufgaben der Straßenverkehrsbehörde und das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung „offensichtlich und nach jeder denkbaren Betrachtungsweise rechtlich verfehlt“.

Nachdem noch immer die Verkehrszeichen nicht entfernt oder als nichtgültig kenntlich gemacht worden waren, hat das Verwaltungsgericht nunmehr mit Beschluss vom 18. Juni 2002 auf Antrag des Antragstellers ein Zwangsgeld in Höhe von 200 Euro pro Verkehrsschild, also in Höhe von insgesamt 4.800 Euro, angedroht, sofern der Antragsgegner nicht bis zum 1. August 2002 der einstweiligen Anordnung aus dem genannten Beschluss vom 6. Mai 2002 nachkommt.


Beschlüsse der 27. Kammer vom 6. Mai und 18. Juni 2002 - VG 27 A 50.02

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