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BVerwGE 62, 376:

Nr. 52

Das Straßenverkehrsrecht berechtigt nicht zu verkehrsregelnden Maßnahmen, die die wegerechtliche Teilentwidmung der Straße (Einrichtung eines Fußgängerbereichs) durch Zulassung einer anderen Benutzungsart (beschränkter Kraftfahrzeugverkehr) faktisch wieder aufheben.

StVG § 6 Abs. 1 Nr. 15; StVO §§ 45 Abs. 1, 46; Bundesfernstraßengesetz § 8 Abs. 6; Straßen- und Wegegesetz des Landes Schleswig-Holstein §§ 8 Abs. 2, 21 Abs. 6

Urteil des 7. Senats vom 26. Juni 1981 - BVerwG 7 C 27.79

I. Verwaltungsgericht Schleswig

II. Oberverwaltungsgericht Lüneburg

Der Kläger betreibt ein Fotogeschäft in N., L.-straße. Zu seinen Kunden gehörten Hochzeitspaare, die mit dem Kraftwagen vorfuhren und sich fotografieren ließen. Ab Mai 1973 wurde die L.-straße zur niveaugleichen Fußgängerstraße ausgebaut; deshalb wurde sie seit November 1973 für den Kraftfahrzeugverkehr gesperrt. Mit Verfügung vom 5. März 1974 zog der Minister für Wirtschaft und Verkehr die L.-straße - unter Aufrechterhaltung der Widmung für den Fußgängerverkehr - für den Fahrverkehr ein. Die nunmehr eingeschränkte Benutzung der Straße ist gekennzeichnet durch das Verkehrszeichen Nr. 241 "Fußgänger". Das Verkehrszeichen trägt außerdem Zusatzschilder, durch die der gewerbliche Anliegerverkehr für Kraftfahrzeuge bis zu 5,5 t Gesamtgewicht zum kurzfristigen Be- und Entladen innerhalb bestimmter Zeiten sowie die Zu- und Abfahrt zum Mühlen- betrieb freigegeben werden.

Der Kläger beantragte, ihm die An- und Abfahrt von Hochzeitspaaren zu seinem Atelier weiterhin uneingeschränkt zu gestatten. Der Oberbürgermeister der Beklagten als Ordnungsbehörde (Straßenverkehrsbehörde) lehnte dies ab, weil die beantragte Ausnahmegenehmigung ein Sicherungsrisiko für die Fußgänger bedeuten, zu Berufungsfällen für alle Kunden der Geschäfte in der L.-straße führen und dadurch die gesamte Einrichtung der Fußgängerzone zunichte gemacht würde.

Die vom Kläger erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Das Berufungsgericht gab der Klage statt.

Die Revision der Beklagten führte zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Aus den Gründen:

Gegenstand der Revision ist der vom Berufungsgericht bejahte Anspruch des Klägers, die Straßenverkehrsbehörde der Beklagten zu verpflichten, die Fußgängerzone der L.-straße durch ein (weiteres) Verkehrszeichen (Zusatzschild nach §§ 39 Abs. 2, 41 Abs. 2 Satz 5 der Straßenverkehrs-Ordnung - StVO -) für den Kraftfahrzeugverkehr von Hochzeitspaaren zum Fotogeschäft des Klägers zeitlich unbegrenzt freizugeben. Dieser Anspruch ist schon deshalb nicht gegeben, weil eine derartige straßenverkehrsrechtliche Sonderregelung der wegerechtlichen Widmung der L.-straße widerspricht, was bundesrechtlich nicht zulässig ist. Dabei kann hier offenbleiben, welche der in Betracht kommenden Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung, die für die vorliegende Verpflichtungsklage - auch im Revisionsverfahren (BVerwGE 41, 227 (230)) - in der nunmehr geltenden Fassung der Änderungsverordnung vom 21. Juli 1980 (BGBI. I S. 1060) anzuwenden ist, die beantragte Verkehrsregelung decken könnte.

Auszugehen ist von der das Revisionsgericht bindenden Feststellung des Berufungsgerichts, das auf Grund des landesrechtlichen Wegerechts - nämlich des § 8 Abs. 2 des Straßen- und Wegegesetzes des Landes Schleswig-Holstein - die Widmung der L.-straße, an der das Geschäft des Klägers liegt, seit März 1974 auf den Fußgängerverkehr beschränkt ist, und daß die Widmungsbeschränkung mit diesem Inhalt dem Kläger gegenüber bestandskräftig geworden ist. Gleichwohl hat das Berufungsgericht den vom Kläger begehrten besonderen Kundenfahrverkehr für zulässig gehalten, weil die Straßenverkehrsbehörde den gewerblichen Kraftfahrzeugverkehr der Straßenanlieger - wenn auch nur zeitlich beschränkt - wieder eröffnet habe und das Begehren des Klägers diesen tatsächlich stattfindenden Fahrverkehr nur geringfügig ausdehne. Diese Ansicht des Berufungsgerichts verkennt die bundesrechtlichen Grenzen des Straßenverkehrsrechts.

Das Straßenverkehrsrecht, das den Verkehr grundsätzlich unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten regelt, und das Straßen- und Wegerecht, daß insbesondere die Benutzung der Straße nach ihrem in der Widmung bestimmten Zweck (Gemeingebrauch) festlegt, betreffen verschiedene Gesetzgebungsmaterien. Gemäß der Kompetenzverteilung der Art.72 Abs. 1, 74 Nr. 22 GG gehört der Bereich des Straßenverkehrs dem Bundesrecht an, während die Regelung des Straßen- und Wegerechts nur hinsichtlich der Fernstraßen beim Bund, im übrigen bei den Ländern liegt (BVerfGE 40, 371 [378]). Demgemäß ist es, jedenfalls soweit es sich um Straßen außerhalb der Bundesfernstraßen handelt, die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, daß das Straßenverkehrsrecht Regelungen nur innerhalb des Rahmens deckt, in dem der Verkehr durch die wegerechtliche Widmung zugelassen ist; das Straßenverkehrsrecht knüpft an die wegerechtliche Widmung in ihrem gegebenen Bestand an und befaßt sich nicht selbst mit ihren Voraussetzungen, insbesondere mit ihrem Umfang (BVerwGE 34, 241 [243]; 320 [323]; Urteil vom 15. November 1974 - BVerwG 4 C 12.72 in Buchholz 407.51 Art. 8 Nr. 1 = MDR 1975, 430 -). Daraus folgt, daß das Straßenverkehrsrecht nicht zu verkehrsregelnden Maßnahmen berechtigt, die über den Umfang der wegerechtlichen Widmung der Straße hinaus andere Benutzungs(Verkehrs)arten zulassen. Zur Zulassung einer solchen anderer Benutzungsart wäre jedoch die Beklagte genötigt, wenn sie gemäß dem Urteil des Berufungsgerichts verpflichtet würde, entgegen der ausschließlich auf den Fußgängerverkehr begrenzten Widmung der L.-straße den Kraftfahrzeugverkehr von Hochzeitspaaren zum und vom Geschäft des Klägers freizugeben.

Demgegenüber kann der Hinweis des Berufungsgerichts auf den in der L.-straße bereits tatsächlich stattfindenden beschränkten Anliegerfahrverkehr nicht durchgreifen. Zwar ist anerkannt, daß die Straßenverkehrsbehörde verkehrsregelnde Maßnahmen auch ohne Rücksicht auf die wegerechtliche Widmung für Verkehrsflächen anordnen kann, soweit sie tatsächlich für den allgemeinen Verkehr benutzt werden (vgl. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung vom 16. November 1970 - VkBl. 1970 S. 758 - zu § 1). Dieser Grundsatz kann aber nur dort gelten, wo sich ein tatsächlich öffentlicher Verkehr ohne Zutun der Verkehrsbehörde entwickelt hat. Er ist unanwendbar, wenn die Verkehrsbehörde diesen Verkehr durch eigene verkehrsrechtliche Maßnahmen selber geschaffen hat, wenn sie also trotz Einziehung der Straße für den Fahrverkehr einen gleichen Fahrverkehr in beschränktem Umfange wieder eröffnet hat, wie das nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hier der Fall gewesen ist. Das landesrechtlich begründete Widmungsrecht der dafür zuständigen Behörden kann nicht dadurch umgangen werden, daß mit Hilfe des Straßenverkehrsrechts Straßennutzungszustände hergestellt werden, die die wegerechtliche Entwidmung der Straße zumindest partiell faktisch wieder aufheben und damit einer Widmungserweiterung gleichkommen. Auf diese Grenze des Straßenverkehrsrechts hat die Revision zutreffend hingewiesen (ebenso Peine in DÖV 1978, 835 [836, 837]).

Die Neufassung des § 45 Abs. 1 StVO, die auf dem durch das Gesetz vom 6. April 1980 (BGBl. I S. 413) neueingefügten Abs. 1 Nr. 15 des § 6 des Straßenverkehrsgesetzes beruht, ändert daran nichts. Die neuen Vorschriften des § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nrn. 3 und 4 und Satz 2 StVO räumen der Straßenverkehrsbehörde die Regelungsbefugnis lediglich zur Kennzeichnung von Fußgängerbereichen, nicht jedoch zu deren Einrichtung ein und setzen wegerechtliche Verfügungen voraus; sie lassen für die Ausübung dieser Befugnis die Bindung des Straßenverkehrsrechts an die wegerechtliche Widmung der Straße unberührt (vgl. auch Drees/Kuckuck/Werny, Straßenverkehrsrecht, 4. Aufl. 1981, Anm. zu Nr. 15 des § 6 Abs. 1 StVG).

Mithin macht die Revision - ebenso der Oberbundesanwalt - mit Recht geltend, daß die wegerechtliche Teileinziehung der L.-straße, die nach der Feststellung des Berufungsgerichts die widmungsrechtliche Nutzung der Straße ausschließlich auf den Fußgängerverkehr beschränkt hat, der vom Kläger begehrten Freigabe des Fahrverkehrs für Kraftfahrzeuge mit Hochzeitspaaren entgegensteht. Zwar hat das von der Verkehrsbehörde dem Verkehrszeichen Nr.241 "Fußgänger" beigefügte Zusatzschild (Freigabe des gewerblichen Anliegerverkehrs für Kraftfahrzeuge bis zu 5,5 t innerhalb bestimmter Zeiten sowie freie Zu- und Abfahrt zum Mühlenbetrieb) trotz seiner straßenverkehrsrechtlichen Unzulässigkeit verkehrsregelnde Wirkung. Diese vermag aber nicht den Anspruch des Klägers zu stützen, über den Fahrverkehr hinaus, der für die L.-straße bereits freigegeben worden ist, und im Widerspruch zum wegerechtlichen Status der Straße den beantragten weiteren Fahrverkehr für bestimmte Kunden des Klägers zuzulassen. Erforderlich ist dafür vielmehr eine wegerechtliche Sondernutzungserlaubnis, die nur nach dem insoweit maßgebenden Straßen- und Wegegesetz des Landes Schleswig-Holstein erteilt werden könnte, die der Kläger bisher aber nicht erhalten hat. Sie ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens, da der Kläger sie nicht zum Inhalt seiner Klage gemacht hat. Die straßenverkehrsrechtliche Genehmigung, die der Kläger im vorliegenden Verfahren erstrebt, kann die wegerechtliche Sondernutzungserlaubnis nicht ersetzen. Hierzu bedürfte es, da das Straßenverkehrsrecht durch das Wegerecht begrenzt ist, der ausdrücklichen wegerechtlichen Ermächtigung. Eine solche Ermächtigung enthält § 21 Abs. 6 des Straßen- und Wegegesetzes des Landes Schleswig-Holstein lediglich für den engen Kreis der Erlaubnis zur übermäßigen Benutzung öffentlicher Straßen nach § 29 StVO, nicht aber - im Gegensatz zu § 8 Abs. 6 des Bundesfernstraßengesetzes - für eine andersartige Sonder- oder Ausnahmegenehmigung des Straßenverkehrsrechts, wie sie der Kläger hier begehrt.

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